Guten Morgen Syracusa, guten morgen lol. Und es stimmt. Gutgelaunt geht es mit einem überschaubaren Frühstück in den Tag. Aber satt wird man. Das Buttercroissant ist praktischer Weise schon gefüllt, die Cornflakes lassen sich mit Zucker versüßen, frisch gebrauter Kaffee mit einem Schuss Milch und ein Blutorangennektar (in separaten Becher) runden das Ganze ab. Für die Hungrigen gibt es noch Toastbrot, Butter und Aprikosenmarmelade. Ich entscheide, dass ich einer dieser bin, nicht weil ich Hunger habe, aber weil ich nicht weiß, was mich erwartet. Unterbewusst glaube ich wohl, die Zivilisation zu verlassen und mich in die Gefahr zu begeben, eines qualvollen Hungertodes zu sterben.
Der Vorteil an einem puristischen Frühstück ist, dass sich auch der Abwasch in Grenzen hält. Dabei quatschen zwei Italiener in fröhlich-melodischem Italienisch- unsere Asiatische Freundin, die soeben ihr Heißgetränke allein genießt fragt: „Do you speak French?“ Irritation.
[Es erinnert mich an eine Episode aus meinem Austausch in Edinburgh. Im Englisch-Aufbaukurs, den ich mit zwei Spanierinnen und einer Französin genießen darf, sollten wir in Partnerübungen eine Gespräch führen, als nach einiger Zeit des Stimmengewirrs und verhaltenem Gebrabbel plötzlich, Laura aus der Nachbargruppe mit süßem, spanischen Akzent, jedoch in höflich- bestimmten Englisch sagt: „I’m sorry Julie, but I have the feeling you speak French with me!“.]
Anschließend steht mir Guilia vom LOL Hostel-Team gutaussehend und gut gelaunt mit Tipps für die anstehende Etappe mit Rat und Tat zur Seite. Auf eigene Initiative.
Beschwingt packe ich meine Tasche und merke, der Rucksack hätte nicht groß genug sein. Vollgetankt finden sich neben dem geplant nötigsten (Reiseführer, Wasser, Sonnencreme, Tablet) inzwischen auch Äpfel, Tomaten, Schokolade, mein Pulli, noch mehr Wasser, eine Galia-Melone (Liebe Eva, ich werde das Messer wohl nicht mit Salami einweihen) und Kekse. Ich entscheide mich bezüglich der Hunger-Angst selbst zu therapieren. Gleich wenn alles aufgegessen ist. Wenn das nicht klappt, muss es genetisch sein. Unsere heißgeliebte Oma stand offensichtlich gleiche schweißtreibende Ängste aus, wenn sie sich auf die einstündige Autofahrt machte um uns zu besuchen. Da konnte die Handtasche für die Bütterchen nicht groß genug sein. Gott sei dank war das zu einer Zeit, als die Modeindustrie das Handtaschenformat auf einen sinnvollen Maßstab begrenzt hatte und die Taschen noch- wahlweise- geschultert oder in der Hand getragen wurden und nicht in der Armbeuge. Mamma Mia, Marie, nicht auszudenken, wie viele Butterbrot das geworden wären.
Am Bahnhof angekommen, kaufe ich stotternd ein Biletto per Noto. Dem Hinweis, dieses in the green box zu entwerten, folge ich prompt um mich dann Richtung Binario 1°-2°-3° zu Gleis zwei zu begeben. Die am Ende des Bahnhofs gelegenen Gleise voller Pflanzenpracht kommen mit spanisch vor. Es ist noch zeit, also warte ich etwas. Der Zweifel wächst und siegt. Mit einem an den Gleisarbeiter gerichtetes „Scusi, in trend per Noto, dieci-dieci (Fingerzeig aus Gleis) Binario due?“ lässt meine Brust fast vor Stolz platzen. Was er antwortet verstehe ich nicht, aber sein Finger zeigt deutlich in eine andere Richtung. Dort angekommen, wartet bereits einer der Wagons am Gleis: die Anzeige stimmt, Leute steigen ein, ich tue es ihnen nach, ich wundernd wann die Lok mit dem Rest des Zuges kommt.

Später merke ich, das ist der Zug. Hier treffe ich auch die Weinkarrendame von Gestern wieder. Inzwischen sind es drei Kisten und ein Koffer. Trotz meiner beiden Rucksäcke reiche ich ihr den Koffer nach. Offensichtlich gehört dies nicht zum Repertoire der umherstehenden Seniores. Der Zug fährt los. In Avola möchte eine Reisegruppe bestehend aus fünf Herren inklusive ihrer Rennräder zusteigen. Nach etwas Überzeugungsarbeit ist auch das möglich, wir haben schließlich einen ganzen Wagon Platz.
In Noto mit der Weinkarrenlady ausgestiegen mache ich mich zu Fuß den Berg hoch, frage nach dem centro storico und folge den Anweisungen. Dort suche ich die touristeninformation, um mein Leck an Vorbereitung fachmännisch auszugleichen und in der Hoffnung meinen Treckingrucksack loszuwerden. Keine Information in Sicht, obwohl ich mich offensichtlich schon im centro touristico befinde, entlade ich mich, nehme ich Platz auf einer Bank und schaue in meine Reisebegleitung. Dort ist keine Übersichtskarte enthalten, aber eine Adresse. Suchend scannen eine Augen die Umgebung nach Straßenschildern. Piazza XVI Maggio klingt so, wie es hier aussieht. Noch bevor ich ein Straßenschild ausmachen, treffen meine Augen das große „i“. Da mein Bus nach Inspica in 1:40h fährt, bleibt keine Zeit für Missmut. Ich hieve mein Gepäck auf transpirant-feuchte Rücken und Brust und marschiere rein und ohne Gepäck, aber mit Stadtplan und guten Tipps im Hinterkopf wieder raus.
Noto IST ein bestechend eindrucksvolles Barockstädtchen. Durch ein Erdbeben dem Erdbeben gleich gemacht, bauen die verbliebenen Einwohner es im barocken Zeitgeist wieder auf. Von den 19 aristrokratischen Familien müssen sich nun neun Verbleibende alles teilen. Entsprechend opulent gestalten sie ihr Leben und ihre Behausungen. Der Palazzo Nicolaci di Villadorata, einer Familie, die durch geschickte Geschäfte und Heiraten zu ihrem Adelstitel kamen, reizt mich, ist er doch der einzige zu besichtigende. Von Außen durch reiche Balkonfassaden geschmückt, die im Zeitgeist unten praktisch ausgestellte Geländer in Form von Gänsebrüsten den Kleidern der Damen Platz boten, ist das Innere leider etwas enttäuschend. Zwar bietet sich ein Einblick in den Stil, den Glanz und den Überfluss jener Tage, doch ist durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen wenig geblieben vom Charme. Weniger weil es sorglos und oberflächlich gemacht wurde- ins Gegenteil. Die Tapeten und Fresken wurden beeindruckend originalgetreu erneuert und instand gesetzt- sondern eher weil alles so offensichtlich neu ist.
Der Blick von einem der Tanzsaal-Balkone über die Dächer in die Landschaft lässt aber noch einmal Erhabenheit aufkommen.
Vom Palazzo schlage ich einen Bogen und laufe parallel zur Via Cavour durch die Straße an der sich die Palazzo Reihen, dann geht es in die Chiesa e Convento d’Assissi All‘Immacolata. Für 2€ erstehen ich ein Ticket für dir Viewing Terrace. Insgesamt sind es zwei, eine Richtung Tal gerichtet, den Hügel hinab in die Landschaft schauend, und eine, nach einigen Metern mehr über die Galerie oberhalb des Kirchenraumes, dem Andachtsbereich der Nonnenchors, kleinen Treppchen und Stiegen hinauf zur Straße gerichtet mit einem Blick über den Corso vitt. Emanuele und die Piazza Municipio fast vis-a-vis zur Basilica del SS. Salvatore. Zwei Gut investierte Euro also.
Ein kleiner Ort der Zuflucht vor all der dekorativen Präsenz in Stein gehauen Formensprache bietet das Anche gli Angeli in der Via A. da Brescia 20. Hier gibt es in historischen, kühlen gewölben durch lokale Köstlichkeiten und Produkte, Bücher und Fotografie zu stöbern oder eine der Köstlichkeiten zu bestellen. TopTipp.
Mein Gepäck eingesammelt mache ich mich auf dem Weg zum Bus. Es waren kurze, aber sehr eindrucksvolle 90min. Das Ticket im Hotel Flora gekauft stelle ich mich an die Station und lese „aus Spaß“ den Fahrplan, der meine Route nicht aufzeigt. Eine italienische Stimme richtet sich an mich, ich drehe mich um und sage dem Herrn dem die Stimme gehört, dass ich nur englisch kann. Er fragt mich, ob ich deutsch spreche, ich sage ja. Wir kommen ins Gespräch. Er sei seit 1990 im Sizilien (zurück?), habe Automechaniker gelernt, eine Softwarefirma gehabt, wollte nicht zum Miilitär. Wegen Waffen und so. Viele Infos, kein Zusammenhang. Ich verstehe was er sagt, aber nicht was er meint. Er sagt mir, dass er nach Catania zum arbeiten muss. Ein Bus kommt. Ich bin erleichtert, dass wir nichtnden gleichen Bus nehmen müssen und er mich nicht ausgeraubt hat. "Catania-Noto-Ispica-Modica" steht im Fenster. Ich nehme meine Tasche und verstauen sie im Laderaum, dann stelle mich an. Vor mir mein bekannter. Ich frage ihn, ob das denn nicht der Bus nach Ispica sei. Er sagt nein. Im Fenster stehe ja schließlich Catania. Er steigt die Treppe zum Busfahrer hoch. Ich bin irritiert. Ispica stand schließlich auch im Fenster. Auch die Reihenfolge wäre für meine Reiserichtung sinnig sein. Von den selbstzweifeln eines Ort-und kulturunkundigen, sprachbeschränkten Reisenden ergriffen, will ich soeben meinen Rucksack aus dem Gepäckraum nehmen, da sehe ich, meine Haltestellenbekanntschaft steigt aus. Offensichtlich kann er viel, aber nicht Bus fahren. Das kurze 'Si' des Busfahrers bestätigt meine berechtigte Anwesenheit in diesem Transportmittel, was er mich nicht fragt ist, was um Himmels Willen ich in Ispica suche.
Angekommen und ausgestiegen stellte ich schnell fest, hier gibt es nicht viel. In der Mittagspause schon gar nicht. Und der nächste Bus kommt in zweieinhalb Stunden... Was tun? Einen Teil meines Minimalvorrates vertilgen und auf Entdeckungstour gehen. Mit ganz geringen Erwartungen. Das erste, beeindruckende Gebäude am Platze, ein alter Palazzo mit Zitronenbaumgarten stellt sich als lokales Verwaltungsgebäude heraus, was mich nicht abhält bis in den letzten Winkel alle unverschlossenen Türen zu öffnen-natürlich nicht. Wer weiß, ob eine davon nicht vielleicht direkt zu einer Arrestzelle führt. Entsprechend schnell hat sich das Highlight als Blitzlicht entpuppt und ich ziehe weiter.

Der Himmel zieht sich weiter zu, es frische deutlich auf. Ich ziehe durch die Straßen - nicht bis Mitternacht - aber ohne Gepäck hätt's sicher mehr Spaß gemacht. Es geht bergab, meistens, kein Wunder, meine Reisebegleiter beschrieb Ispica als "a hilltop town overlooking a huge canyon, the Cava d'Ispica, riddled with prehistoric tombs". All davon sehe ich nichts. Durch die Straßen voller schlecht instand gehaltener Häuser, teils barock, teils nachkriegsmodern (auch wenn es in diesem Ort sicher keine Kriegsschäden gab), teils dazwischen entstanden, ziehend suche ich nach Anhaltspunkten. Wie sollte es anders sein, nur Kirchtürme. Ich suche mir den schönste raus und ziehe ihm entgegen. Da erblicke ich in einer Seitengasse einen mit strahlend blauem Dach!

DER solls sein. Und diese Entscheidung wird mich nachträglich mit meiner verrückten Idee, hier auszusteigen versöhnen. Ich betrete einen Platz. Geradeaus eine niedrige Gebäudefront mit vielen Toren, rechts neben mir das gleiche inkl. eines Turms, links von mir eine Kirche. Alles menschenleer, still, verlassen, verschlossen, einsam, traurig. Ich drehe eine Runde und gucke mir alles höchst interessiert und kritisch an (so wie zuvor den Busfahrplan). Sich umrunden das niedrige Gebäude. Wofür es erbaut wurde, lässt sich nicht ausmachen. Als ich zurück auf den Platz komme, steht die rechte Seitentür der Kirche offen. Ein Mann kratzt Unkraut von einem Mauervorsprung. Ich nutze die Gelegenheit, stürze mich auf ihn, werfe ihn zu Boden und frage, ob die Kirche geöffnet ist. Er sagt etwas, sein Finger zeigt ins Innere und dann nach links. Ich sage 'grazie' und folge seinen Weisungen. Im Inneren stelle ich mein Gepäck ab und sehe:
Das Innere einer Kirch. Erstaunlich! Da ich nunmal hier bin und der Mann offensichtlich extra seine Mittagspause für mich verschiebt, schaue ich mich um. Schöne Dekorationen, vielleicht nicht die filigransten ihrer Epoche, aber durchaus annehmbar. Skurril empfinde ich die Figuren und Puppen, in Lebensgröße und eingekleidet.

Dann kommt der nette Herr vom Eingang, gibt mir ein Zeichen und macht Licht an. Alles wird noch theatralischer, noch bühnenhafter, irgendwie noch befremdlicher. Die Kirche wird zum Wachsfigurenkabinett. Er zeigt mir ein aus Holz geschnittenes Kreuz. Die Detaillierung der Kreuzigung Jesu ist sehr plastisch. Er ist sichtlich stolz, fragt ob wir sowas Tolles auch in Deutschland haben. Ich versuche ihm zu erklären, dass es, wenn hauptsächlich in katholischen Kirchen vorkommen kann. Wir einigen uns auf den Kölner Dom. Der Mann kennt sich aus. Dann winkt er mich leidenschaftlich von einer Attraktion dzur nächsten. Ich komme mit dem gucken gar nicht hinterher. Schließlich soll ich mich anscheinend noch mehr beeilen. Er ist ganz aufgeregt. Als ich vor dem Seitenaltar stehe, neben dem er Aufstellung genommen hat, legt er einen Schalter um, ein Lichtblitz blendet mich, Strahlen der Erleuchtung fluten den Raum, der Seitenaltar, umrahmt von Putten, Engeln und Madonnen wird erhellt von tausenden weißer Glühbirnen. Das blaue Kreuz wird durch einen eigenen Lichtkranz akzentuiert. Es ist wie auf dem Jahrmarkt. Ich blicke zu dem Mann, stammel ein irritiertes "wow...". Er hat schon den nächsten Schalter in der Hand, gibt mir ein Zeichen mich (gefälligst) zu konzentrieren. Beim erneuten Anblick des Altars fällt mir auf, es wird gar nichts dargestellt. Die zentrale Fläche zwischen den Säulen ist ein samtbespanntes Feld in purpurem Rot. In dem Moment ertönt ein Klacken, ein Surren und der Vorhang fährt hoch um eine Szene aus Jesus' Kreuzigung zu enthüllen. Das ist besser als Jahrmarkt!!! (auch wenn Inhalt und Präsentation etwas widersprüchlich sind).

Einem Cappuccino später (dass man den in Italien nur zum Frühstück trinkt, wird mir erst später wieder in Erinnerung gerufen werden) ist mein fulminanten Aufenthalt in Ispica vorüber und es geht nach Medicia. Dort checke ich im B&B LunaBlu ein und entdecke die Stadt auf einem abendlichen Spaziergang. Gelegen an verschieden Hängen, schlängelt sich die Hauptstraße Corso Umberto I durch das Tal. Überall gibt es Treppen, die ersten Kirchen werden besichtigt.


Der Palazzo di Conte wird leider zur Zeit renoviert und kann nicht besichtigt werden. Schade, die Besichtigung eines gesamten Palazzo steht nämlich noch auf meiner Wunschliste. Durch Gassen ziehend fällt mir ein Schild auf "Taverna Nicastro". Davon habe ich gelesen und beschließe mir ein eigenes Bild zu machen. Viele, viele Stufen später, einige Wegbeschreibungen- nicht alle richtig interpretiert- später bin ich da. Ich frage nach einem tavola per uno, der Kellner, führt mich durch einen leeren Gastraum in einen weiteren leeren Gastraum und sagt ich könne zwischen Tisch zwei, vier und sechs wählen. Ich nehme zwei und Platz. Aus der Karte wähle ich das vorgeschlagene Menü, klassisch italienisch mit Vorspeise, Gang eins und zwei, und einen vino Rosso- quarto.

Ich bin der einzige Gast, in einem neonlicht-hellen Raum, die Fenster sind mit Folie beklebt, die Einrichtung nüchtern karg. Eigentlich typisch italienisch. Leider menschenleer. Nach einer Zeit habe ich alle Bilder betrachtet. Der Kellner bringt den nächsten Gang. Er spricht leider nur italienisch. Außer ja, bitte, danke, ist keine Konversation möglich. Ich fühle mich einsam und ärgere mich über mich selbst. Nicht mal neues Besteck kann ich bestellen, obwohl ich fortwährend im Wörterbuch blättere. Das Essen ist gut, die Umstände lassen aber keine Euphorie zu. Später kommt noch ein älteres Pärchen. Auch sie sprechen nur italienisch. Ein weiteres Pärchen spricht nur mit sich selbst...
Ich nehme trotzdem noch ein dolci. Auch das schmeckt gut, kann die Bitterkeit aber nicht nehmen. Ich bestelle die Rechnung. Die kommt im kleinen Klappbuch, ich lege mein Geld hinein und warte, dass der Kellner kommt und es abholt. Es passiert aber nichts. Ich schiebe das Buch an die Tischkante. Nichts passiert. Irgendwann gebe ich dem Kellner ein Zeichen. Er nimmt das Buch mit. Inzwischen sind alle anderen gegangen. Ich ziehe mir meine Jacke an. Der Kellner bringt das Wechselgeld. Ich lasse das Trinkgeld im Einschlag liegen und gehe. Am Eingang treffe ich das alte Pärchen. Sie stehen an einer Kasse und zahlen. Ich bin sprachlos, stottere ein geknickt 'ciao' und gehe.