Ausgeschlafen, tagfertig gemacht, gepackt, ausgecheckt. Langsam kommt Routine in dies Leben. Wobei ich, und das werde ich heute noch feststellen noch nicht ganz dem Tageszyklus der Italiener folgen kann. Zuerst ein Frühstück in der Caffetteria i Portici, dem offensichtlich einzigen Lokal mit WLAN. Die rothaarige Signora im Alter einer nonna empfiehlt mir zum Cappuccino ein Brioche mit Pistazien-Eiscreme. Mir gefällt wie sie denkt und willige ein. Ohnehin scheint Maria-wie sie später von einer sie umschwärmenden Gruppe einheimischer Signori am Nachbartisch genannt wird- einer Signorina in nichts nachzustehen.
Danach geht es zur Chiesa di San Giorgio. Die Hauptstraße Corso Umberto I ist gesäumt von dem was diesen Ort ausmacht: Barockarchitektur in jeder Form, Größe, Typologie und jedem Alterszustand. Von dort abgebogen, Treppen steigend geht es auf zum Meisterwerk von Gagliardi. Der Blick in der Via Magg L Barone über die Stufen zwischen den Häuserschluchten über die Stützmauern des vor der Kirche durch Freitreppen inszenierten Aufstiegs hinweg, gerahmt von üppiger Bepflanzung verführt mich zu einer Skizze. Der zarte Geruch von Geißblatt weht immer wieder durch die Gasse.
Die Zeit aus den Augen verloren, beende ich meine „Arbeit“ und setze den Aufstieg fort. Die Wegeführung, das Emporsteigen, die imposanten Hauptfassade der Kirche vor Augen erwecken das Gefühl von Erhabenheit. Beinah erliege ich dem barocken Lebensgefühl zur Repräsentation des eigenen Ichs, machtbewusst und extrovertiert. Aber der irritierende Anblick geschlossener Kirchentüren und ein Blick auf die Uhr holen mich ins Jetzt zurück. Pausa Pranzo. Also ziehe ich weiter durch die Gassen, Treppen hoch, Treppen runter und erfreue mich an allem was ich sehe. Schneller als mir lieb ist, bin ich wieder unten in der Stadt und entscheide mich schließlich zu einem Mittagessen bei Maria einzukehren. Sie erkennt mich wieder und lächelt nett. Bene. Ich finde noch eine Platz an einem der Stehtische und bestelle auf italienisch, sie überzeugt mich von einem Glas Vino Bianco zu meiner Tagliatelle con funghi, wir verstehen uns. Zum Abschied bestelle ich noch einen Caffé bei Maria an der Bar und gehe in die Schokolaterie, deren Besitzerin mich gestern schon auf der Straße ansprach. Auch sie erkennt mich wieder und wir kommen ins Gespräch. Ihr englisch ist gut und ich erzähle ihr von meinem Versuch italienisch zu lernen und den sehr unbefriedigenden Konversationen beim Abendessen. Sie fragt, was ich gegessen habe, ich beschreibe es in italienisch und sie hilft mir mit Vokabeln. Dann fragt sie wo ich herkomme und erzählt mir dann von ihren Verwandten, einer Enklave von Italienern aus Medici in Radevormwald, die dort ebenfalls eine Kaffeerösterei führen. Mocambo. Die Schokoladenprobe mit einem weiteren Caffé gerät fast ins Hintertreffen. Doch der Geschmack der Meersalzschokolade überzeugt mich und so kaufe ich natürlich auch etwas. Das muss ich aber auf Italienisch tun, sonst würde sie nicht verstehen was ich wolle. Dann sagt sie, ich würde italienisch lesen, wie sie deutsch. Ich bin empört über soviel Zurückhaltung. Dann stottern wir uns beide noch den zu zahlenden Betrag in der Sprache des jeweils anderen vor und ich verlasse das Geschäft, gefolgt von der Schokoladenverkäuferin, die mich in allen ihr bekannten Sprachen und Wortmeldungen verabschiedet. Dabei habe ich gar nicht so viele Schokolade probiert….
Beim Blick auf die Uhr bemerke ich, dass ich mein Gepäck holen muss um einen neuen Versuch für San Giorgio zu starten. Der Busbahnhof liegt am anderen Ende des Dorfes. Auf dem Weg ins B&B liegen noch zwei weitere Kirchen (die ich besichtige, real sind es etliche mehr). Dann beginnt der Aufstieg. Schwerbepackt erklimme ich Stufe um Stufe, Treppe um Treppe, Gasse um Gasse. Ich versuche die Strecke in gleiche Streckenabschnitte zu unterteilen, merke dann aber, wie weit ich schon bin, finde mich toll und setze mir das Ziel, den Weg ohne Pause zurückzulegen. Nichtsdestotrotz, die Sonne scheint, der Aufstieg ist steil, die Poren öffnen sich, die Luftfeuchtigkeit unter meinem T-Shirt steigt. Ich frage mich, warum ich eigentlich keine kurze Hose trage, verwerfen diesen Gedanken aber wegen seiner Unbrauchbarkeit in diesem Moment und konzentriere mich darauf, keine der vielen Vicos zu nehmen, die sich meist als Sackgasse herausstellen. Denn war ich gestern noch stark hungertodgefährdet, wäre ich nun ein willkommener Opfer der Dehydration. Als die Gasse unter dem als Autoüberführung genutzten Aquädukt knickt und der gepflasterten Boden vor mir zu Schotter und dann zu Geröll wird rutscht mir das Herz in die lange Hose. Ich sehe mich schon Erschöpfung heulend auf den Stufen sitzen, entscheide mich dann aber das Geröll nicht hinzunehmen und wenn ich es eigenhändig wegschüppen muss. Und siehe da, vor dem Geröll gibt es einen Abzweig und ein mir inzwischen sehr bekanntes Kirchenportal erscheint. Es ist zwar nur der Seiteneingang, aber damit bin ich mehr als zufrieden. Im Inneren lehne ich mein Gepäck an einen der gen Himmel sterbenden Pfeiler, lege mich trocken und lasse mich fallen in den fünfschiffigen Rausch an Stuck, Blattwerk, Muschelmotiven, Ornamentik, Golddekor, Marmor, Stucco Lustro, Fresken, Skulpturen, Intarsien, Baldachinen, Schnitzereien, Schmiedereien und Kapitellen. Beinahe deplatziert bei soviel Überfluss und Weltfremdheit wirkt da schon fast die nüchterne und funktionale in den Boden eingelassene Sonnenuhr.
Berauscht und gesammelt geht es anschließend die große Freitreppe hinab zum Busbahnhof.






Lieber Jörg,
AntwortenLöschenbin ich der erste der hier seinen Kommentar schreibt?
Sehr beneidenswert deine Reise, schreib ruhig mehr....ich habe gerade heute erschreckt festgestellt, dass ja Pfingsten ist und niemand(!) hier in HH ist mit dem man was machen könnte....könnte kurz vorbeifliegen :)
LG Johannes