In Ragusa angekommen, erfragen ich am Terminal und bei zwei Signori auf dem Weg eben diesen und finde schließlich mit brieftaubenhafter Akkuratesse (Derivation des Adjektivs akkurat) meine Unterkunft, das B&B A Vanidduzza. Hier passiert nach dem Klingeln erstmal nichts. Die Wäsche aufhängende Nachbarin fragt, ob ich beide Klingeln versucht habe. Ich habe sogar alle drei versucht. Das ändert aber nichts. Nach einiger Zeit biegt eine Frau mittleren Alters um die Gassenecke. Mit einem Handzeichen unter ihrem über beide Unterarm gelegten Sperrgut gibt sie mir zu Verstehen, dass wir uns heute ein Dach teilen werden. Das beschleunigt ihr Tempo zwar nicht, aber ihr warmherzige, gewinnendes Wesen lassen keine Verärgerung zu.
Das Zimmer und alle Türen sind in fröhlichen Farben und im Stil der 50er Italiens gehalten. Nach einer kurzen Einweisung gibt sie mir zu verstehen, dass ich am Abend auf gar keinen Fall zu Fuß nach Ragusa Ibla gehen oder nach Ragusa Superiore zurückkommen darf. Die Treppen als Nadelöhr wären nicht sicher. Ich gehorchen und erkunden die obere Stadt. Am Reißbrett nach den Erdbeben im 17.Jahrhundert entstanden, hat sie die gewohnte Ordnung dieser Städte. Die Orientierung ist um so leichter, da die Hauptstraße Ragusa Superiores, der Corso Italia auf einem Bergrücken verläuft. Die Bebauung ist heterogen und gebaut werden durfte anscheinend so hoch wie Geld da war. Bei den wenigsten reichte es für drei Geschosse, so dass das Straßenbild von endlosen Reihenhauszeilen geprägt ist. In seiner Klarheit ist dieses Stadtbild trotz barocker Dekoration erfrischend nüchtern und steht im kompletten Gegensatz zu Modica, dass vor Gassen, Treppen, Mauern und Höhenunterschieden einem Wirrwarr der Orientierungslosigkeit glich.
Aber nicht nur das ist hier gegensätzlich. Die faschistischen Bauten und spostmodernen, multifunktionalen Großprojekte, die zwischen all den barocken Reihenhäusern Platz ¿gefunden? haben; der hohe Anteil farbiger Bevölkerung im "Landesinneren" (Mito, einer meiner Gastgeber erklärt mir später, dass es viel mit Arbeitsplätzen/ -Chancen zu tun hat; die vor ihrem Schaufenster stehende Apothekerin, die raucht; die ordentliche Auslage des Gemüsehändler, die von Einheimischen belebten Plätze und Cafés und wenigen Touristen. Eine ganz normale Stadt irgendwie.
Es fängt an zu dämmern. Auf dem Weg zurück zur Unterkunft, fällt mir auf, dass auch alle anderen gehen. Die Lokale leeren sich, Läden schließen, die Messen enden. Die Menschen strömen heim. Ich bin im Takt. Das fühlt sich gut an. Beschwingt mit der playlist ‚Italia in Radio‘ und Zuccheros Partigiano Reggiano beginne ich diesen Eintrag zu schreiben. Und so stört mich auch nicht das grelle, bläulich weiße Deckenlicht.
Es klopft. Ich schrecke hoch. Verschlafen? Auschecken? Frühstück seit einer Stunde überfällig. Aus dem Bett springend rufe ich "Si!?", bin kurz erleichtert, die Schlafanzugshose zu tragen und renne zur Tür. Davor steht eine verstörte, aber erleichterte Signora, die mir kleinlaut gesteht, sie sei in Sorge gewesen. Sie habe mich gestern nicht heimkommen hören und jetzt sei meine Tür auch nicht verschlossen gewesen. Auch sie trägt noch ihren Schlafanzug. Wir freuen uns beide, dass alles gut ist und ich lege mich zurück ins Bett. 6:34. Die italienische Musik hat sie offensichtlich nicht mir zugeschrieben.
Nach einem kurzen Frühstück mit Tee, Croissant, Nutella und Gebäck, dass ihre Tochter bereitet hat, packe ich meine sieben Sachen. Die darf ich noch hierlassen bis ich zum Bus muss. Da später niemand da ist, werde ich noch eine Notiz auf dem Bett lassen, weil mir der Abschied sonst zu unpersönlich gewesen wäre: "Grazie Mille per tutti, Signore. Baci. Jörg".
Auf meinem Weg in die Stadt passiere ich viele der Orte von gestern und besichtige die Kirche Carime, ein Stahlbetonskelett, das sich aber den Ordnungsprinzipien seiner Nachbarn bedient. Das Innere zeigt die gleiche Ehrfurcht und die Ehrerbietung vorm Schöpfer wie alle Kirchen. Reich geschmückte Altäre, aufwändige Dekorationen, nur der gebaute Hintergrund ist weniger dominant.
Dann geht es unzählige Stufen hinunter nach Ragusa Ibla. Der Ausblick auf die Altstadt ist beeindruckend. Der ganze Berg eine einzige Baumasse. Wie ein Wimmelbild fügen sich Häuser, Kirchen, Palazzi, Mauern, Treppen und Dächer zusammen zu einem Ganzen, eingebettet in das saftige Grün des Tales.
Am Fuß des Berges angekommen geht es wieder Treppen hinauf. Ziel ist der Duomo di San Giorgio. Auch ihn betrete ich wieder durch die Seitentür und was ich sehe verschlägt mir die Sprache. Alles was San Giorgio in Modica beschrieb, trifft auch hier zu, wird aber in Fülle und Plastizität in den Schatten gestellt. Die in den Rundbögen zwischen Haupt- und Seitenschiffen hängenden Lüster sind von imposanter Größe; Draperien aus schwerem, tiefroten Brokat füllen die Bogensegmente zwischen den Stützen, ebenso wie auch die dekorativ in die Pfeiler geschlagenen Rahmenmotive mit Brokat gefüllt wurden; die Schnitzarbeiten des Altarchors sind von einer Kleinteiligkeit und Präzision, dass es nicht vorstellbar scheint, wie viele Jahre es gedauert haben mag, dieses Meisterwerk anzufertigen; die Kuppeln der Seitenjoche sind mit Laternen gekrönt und die laternengekrönte Kuppel über der Vierung wird getragen von einem Nichts aus sechzehn doppelreihigen korinthischen Säulen und einem Wasserfall aus Licht.
In all seiner Pracht und Selbstdarstellung mutet der Dom eher einem Thronsaal als einem Haus Gottes an. Die Ausstaffierung hat etwas ungemein weltliches, diese Materialschlacht erscheint mir mit meinem evangelischen Gemüt bei allem Verständnis und jeder persönlichen Vorliebe für Material, Form und Konsequenz in der Umsetzung als ungezügelt.
Hinter dem Duomo liegt am höchsten Punkt der Altstadt. Von hier kann der Blick über die Stadtgrenzen in die Landschaft schweifen und viele Punkte im Stadtbild ausmachen, die erkundet werden wollen. Es geht die Treppen hinab und über den Corso XXV Aprile zur nächsten Kirche, diese feminin weich geschwungen ist Klosterkirche eines Nonnenordens und lädt mich zum Verweilen ein. Ich nehme Platz und genieße die Kühle. Da fällt mein Blick auf einem im Chor sitzende Nonne. Sie studiert regungslos ein Buch. Auch ich sitze still da. Langsam dreht sie sich um und lässt ihren Blick durch die Kirche schweifen. Dann bückt sie sich unter die Kirchenbank. Nach einigen Sekunden setzt sie sich wieder aufrecht und wischt sich über den Mund. Irritiert blicke ich weg. Säuft die Nonne? Vor den Augen des Herren, hinter dem Rücken ihrer Schwestern? Aber warum sollte es hier anders sein als irgendwo sonst, nur die Wahrscheinlichkeit einen sündfreien Steinewerfer anzutreffen ist vielleicht höher.
Auf dem Weg liegen noch zwei Palazzi, beide gratis dafür mit vermeintlichen Kunstwerken bestückt, die zum Verkauf stehen. Ich denke an die aquarellierenden Damen und bin begeistert von diesem Wirtschaftszyklus. Leider entbehren beide Häuser den zeitgenössischen Wohngegebenheiten, lediglich die Deckenfresken lassen die frühere Nutzung erahnen. Beeindruckend aber der Bezug in die Landschaft. Absicht oder notwendige Belichtung?
Auf dem Weg den Corso Italia hoch besorge ich noch im Antico Caffé Trieste zwei Ciabattini mit Salame und prosciutto gelegt. Zum guten Preis und hübsch verpackt wandern sie in meinen Rucksack. Die letzte Kirche für heute soll die Catedrale San Giovanni Battista sein (denke ich jetzt. Aber natürlich bin ich in Italien und Kirchen sind hier weiß Gott keine Mangelware). Ich glaube sie gefällt mir von allen bisher am besten. Das Farbspiel von Weiß und Grau-Brauntönen, durchzogen von dem allgegenwärtigen Gold ist gefällig, die Proportionen bestimmt, aber nicht erdrückend, die Ausstattung beeindruckend (und unaufdringlich).
Weiter durch die Gassen ziehen besorge ich un pane, il bagaglio, eine Wurst und einen Käse und un biletto per Catania. Es ist die gleiche Frau, die mir gestern den Weg erklärte. Sie guckt mich verdutzt an. Wahrscheinlich wundert sie sich, warum ich heute italienisch spreche. ;p
In Catania ausgestiegen (diesmal war es pures Glück, dass ich den dem Hostel am nähsten liegenden Busbahnhof erwischt habe) mache ich mich auf zum Ostello Degli Elefanti. Es liegt prominent im Herzen Catanias und ist in einem Teil der Räume eines Palazzos untergebracht. Die Beschreibung meiner Reisebegleitung trifft es zwar nicht ganz. Alles ist in die "Jahre gekommen" obwohl das Hostel erst 2014 geöffnet hat, die sanitären Anlagen grenzen je nach Tageszeit an "bestialisch", aber das Personal ist nett, die Deckenfresken in den Zimmern vorhanden und die Dachterrasse mit Bar ein absolutes ++.
Nach einem Erholungsschläfchen auf der oberen Ebene des Stockbettes entschließe ich mich die Vorräte aufstocken zu gehen und vielleicht doch noch einen Teil der Stadt anzuschauen. Im Supermarkt ergänze ich mein Abendessen um ein Paprikapesto, den ich als Butter missbrauchen werde, mariniertes Gartengemüse mit Oliven, keksigem allerlei und in Vorbereitung auf die Reise morgen verschwinden noch Wasser, Geburtstagsaccessoirs und Obst im Stauraumwunderrucksack.
So schwer es mir fällt, ich kann mich nicht verwehren mir die Stadt anzugucken. Auf dem Weg liegt wieder ein Loch mit römischem Allerlei. Ich verschaffe mir einen Überblick, aber die Fülle der bisher gewonnenen Eindrücke blockiert mich und ich wende mich zum gehen. Die Signora im Kassenhäuschen ruft mir zu, dass es umsonst wäre. Ich werfe ihr einen mitleidiegen Blick zurück und sage, dass es mich nicht interessiere. Ich hoffe das bremst nicht die Leidenschaft für ihre Arbeit, es war nämlich auch gar nicht ernstgemeint. Es war die falsche Zeit oder vielleicht waren die umher streuernden und dort beherbergten Katzen abschreckend; vielleicht kompensiert sie das mangelnde Interesse ihrer Umwelt an dem ihr anvertrauten Kulturschatz durch den zubau ulkiger Katzenbehausungen.
Im Giardino Bellini werde ich ebenfalls nicht meines Interesses fündig, bei Verlassen passiere ich an einer Stützmauer zwei Jugendliche mit einer auffälligen Körpersprache und beim Bemerken meiner eines ebenso auffällig ertappten Verhaltens. Mir liegt ein "Attenzione e prendete preservativo." auf den Lippen - aber ich weiß nicht, was "habt trotzdem Spaß" heißt und ich möchte nicht belehrend klingen.
Darüber nachdenkend, wie wenig Privatsphäre es bedeutet, keine eigene Wohnung zu haben und dass junge Erwachsene hier durchschnittlich bis zum 32.Lebensjahr bei ihren Eltern wohnen steure ich auf eine Kirche zu, die mehr als abgängig aussieht.
Daneben befindet sich ein niedrigerer Bau, durch dessen Portal junge Leute einen und ausgehen. Ich tue es ihnen gleich, lasse auch die sich hier im Hof befindlichen die Löcher mit römischen Resten links und rechts liegen und gehe zielstrebig zum Hauptportal des Baus empor. Dort mogel ich mich in das imposante Treppenhaus.
Es scheint sich um eine Universität zu handeln und wie öffentlich die hier zugänglich sind weiß ich nicht. Meine Blicke ziehen mich immer weiter ins Innere. Auf der ersten Etage fällt mein Blick in einen Innenhof in dessen Zentrum ein Pavillon steht, der Flur in dem ich stehe umrundet den Innenhof vollständig, von ihm gehen eine Vielzahl von Türen an. Es scheint ein ehemaliges Kloster zu sein. Noch immer meiner rechtmäßigen Anwesenheit nicht bewusst gehe ich weiter, nur noch eine Ecke, und noch eine und noch eine Treppe und noch eine Ecke... Es gibt einen weiteren Hof von gleicher Größe, aber ohne Pavillon. Das Kloster scheint eines Tages großmaßstäblich erweitert worden zu sein. Einen Zugang zu der abgedruckten Kirche suche ich leider vergebens. Schade.
Anschließend ziehe ich weiter, passiere das Teatro Greco und stolpere anschließend förmlich in die Basilica Cattedrale di Sant'Agata. Nüchterne Klarheit mit dem im Eingangsportal hängenden Baldachin, der mit seinem Sonnengelb, die Kirche in ein mollig warmes Licht taucht und mediterranes Flair versprüht umgeben mich.
Dann treibt mich der Hunger und und die notwendige Planung der nächsten Tage auf die Dachterrasse des Hostels. Mein Mahl aus Brot, Käse und Wurst, Pesto, Aperol Spitz mundet.
Anschließend gesellt sich der Hostel-Rezeptionist zu mir und bittet um einen freien Platz. Alle anderen Tische wären von nicht Hostelbewohnern belegt und seine Chefin erlaube ihm nur hier zu sitzen. Ich muss lachen, nehme es als Kompliment, kein Gast zu sein, sondern dazu "zugehören". Wir trinken zwei Bier und er gibt mir Tipps für die Äolischen Inseln auf denen er zwei Jahre gearbeitet hat. Dann verabschiede ich mich in mein Stockbett und freue mich auf den nächsten Tag, an dem ich endlich Besuch bekomme und die kommenden Tage auf den Inseln und zu zweit.
Das Zimmer und alle Türen sind in fröhlichen Farben und im Stil der 50er Italiens gehalten. Nach einer kurzen Einweisung gibt sie mir zu verstehen, dass ich am Abend auf gar keinen Fall zu Fuß nach Ragusa Ibla gehen oder nach Ragusa Superiore zurückkommen darf. Die Treppen als Nadelöhr wären nicht sicher. Ich gehorchen und erkunden die obere Stadt. Am Reißbrett nach den Erdbeben im 17.Jahrhundert entstanden, hat sie die gewohnte Ordnung dieser Städte. Die Orientierung ist um so leichter, da die Hauptstraße Ragusa Superiores, der Corso Italia auf einem Bergrücken verläuft. Die Bebauung ist heterogen und gebaut werden durfte anscheinend so hoch wie Geld da war. Bei den wenigsten reichte es für drei Geschosse, so dass das Straßenbild von endlosen Reihenhauszeilen geprägt ist. In seiner Klarheit ist dieses Stadtbild trotz barocker Dekoration erfrischend nüchtern und steht im kompletten Gegensatz zu Modica, dass vor Gassen, Treppen, Mauern und Höhenunterschieden einem Wirrwarr der Orientierungslosigkeit glich.
Aber nicht nur das ist hier gegensätzlich. Die faschistischen Bauten und spostmodernen, multifunktionalen Großprojekte, die zwischen all den barocken Reihenhäusern Platz ¿gefunden? haben; der hohe Anteil farbiger Bevölkerung im "Landesinneren" (Mito, einer meiner Gastgeber erklärt mir später, dass es viel mit Arbeitsplätzen/ -Chancen zu tun hat; die vor ihrem Schaufenster stehende Apothekerin, die raucht; die ordentliche Auslage des Gemüsehändler, die von Einheimischen belebten Plätze und Cafés und wenigen Touristen. Eine ganz normale Stadt irgendwie.
Es fängt an zu dämmern. Auf dem Weg zurück zur Unterkunft, fällt mir auf, dass auch alle anderen gehen. Die Lokale leeren sich, Läden schließen, die Messen enden. Die Menschen strömen heim. Ich bin im Takt. Das fühlt sich gut an. Beschwingt mit der playlist ‚Italia in Radio‘ und Zuccheros Partigiano Reggiano beginne ich diesen Eintrag zu schreiben. Und so stört mich auch nicht das grelle, bläulich weiße Deckenlicht.
Es klopft. Ich schrecke hoch. Verschlafen? Auschecken? Frühstück seit einer Stunde überfällig. Aus dem Bett springend rufe ich "Si!?", bin kurz erleichtert, die Schlafanzugshose zu tragen und renne zur Tür. Davor steht eine verstörte, aber erleichterte Signora, die mir kleinlaut gesteht, sie sei in Sorge gewesen. Sie habe mich gestern nicht heimkommen hören und jetzt sei meine Tür auch nicht verschlossen gewesen. Auch sie trägt noch ihren Schlafanzug. Wir freuen uns beide, dass alles gut ist und ich lege mich zurück ins Bett. 6:34. Die italienische Musik hat sie offensichtlich nicht mir zugeschrieben.
Nach einem kurzen Frühstück mit Tee, Croissant, Nutella und Gebäck, dass ihre Tochter bereitet hat, packe ich meine sieben Sachen. Die darf ich noch hierlassen bis ich zum Bus muss. Da später niemand da ist, werde ich noch eine Notiz auf dem Bett lassen, weil mir der Abschied sonst zu unpersönlich gewesen wäre: "Grazie Mille per tutti, Signore. Baci. Jörg".
Auf meinem Weg in die Stadt passiere ich viele der Orte von gestern und besichtige die Kirche Carime, ein Stahlbetonskelett, das sich aber den Ordnungsprinzipien seiner Nachbarn bedient. Das Innere zeigt die gleiche Ehrfurcht und die Ehrerbietung vorm Schöpfer wie alle Kirchen. Reich geschmückte Altäre, aufwändige Dekorationen, nur der gebaute Hintergrund ist weniger dominant.
Dann geht es unzählige Stufen hinunter nach Ragusa Ibla. Der Ausblick auf die Altstadt ist beeindruckend. Der ganze Berg eine einzige Baumasse. Wie ein Wimmelbild fügen sich Häuser, Kirchen, Palazzi, Mauern, Treppen und Dächer zusammen zu einem Ganzen, eingebettet in das saftige Grün des Tales.
Am Fuß des Berges angekommen geht es wieder Treppen hinauf. Ziel ist der Duomo di San Giorgio. Auch ihn betrete ich wieder durch die Seitentür und was ich sehe verschlägt mir die Sprache. Alles was San Giorgio in Modica beschrieb, trifft auch hier zu, wird aber in Fülle und Plastizität in den Schatten gestellt. Die in den Rundbögen zwischen Haupt- und Seitenschiffen hängenden Lüster sind von imposanter Größe; Draperien aus schwerem, tiefroten Brokat füllen die Bogensegmente zwischen den Stützen, ebenso wie auch die dekorativ in die Pfeiler geschlagenen Rahmenmotive mit Brokat gefüllt wurden; die Schnitzarbeiten des Altarchors sind von einer Kleinteiligkeit und Präzision, dass es nicht vorstellbar scheint, wie viele Jahre es gedauert haben mag, dieses Meisterwerk anzufertigen; die Kuppeln der Seitenjoche sind mit Laternen gekrönt und die laternengekrönte Kuppel über der Vierung wird getragen von einem Nichts aus sechzehn doppelreihigen korinthischen Säulen und einem Wasserfall aus Licht.
In all seiner Pracht und Selbstdarstellung mutet der Dom eher einem Thronsaal als einem Haus Gottes an. Die Ausstaffierung hat etwas ungemein weltliches, diese Materialschlacht erscheint mir mit meinem evangelischen Gemüt bei allem Verständnis und jeder persönlichen Vorliebe für Material, Form und Konsequenz in der Umsetzung als ungezügelt.
Hinter dem Duomo liegt am höchsten Punkt der Altstadt. Von hier kann der Blick über die Stadtgrenzen in die Landschaft schweifen und viele Punkte im Stadtbild ausmachen, die erkundet werden wollen. Es geht die Treppen hinab und über den Corso XXV Aprile zur nächsten Kirche, diese feminin weich geschwungen ist Klosterkirche eines Nonnenordens und lädt mich zum Verweilen ein. Ich nehme Platz und genieße die Kühle. Da fällt mein Blick auf einem im Chor sitzende Nonne. Sie studiert regungslos ein Buch. Auch ich sitze still da. Langsam dreht sie sich um und lässt ihren Blick durch die Kirche schweifen. Dann bückt sie sich unter die Kirchenbank. Nach einigen Sekunden setzt sie sich wieder aufrecht und wischt sich über den Mund. Irritiert blicke ich weg. Säuft die Nonne? Vor den Augen des Herren, hinter dem Rücken ihrer Schwestern? Aber warum sollte es hier anders sein als irgendwo sonst, nur die Wahrscheinlichkeit einen sündfreien Steinewerfer anzutreffen ist vielleicht höher.
Ich ziehe weiter in den Giardini Iblei. Hier gibt es gleich drei Kirchen, die alle nicht zu besichtigen sind- eine erfrischende Abwechselung. Dafür gibt es allerlei Damen gemischten Alters, die sich die Zeit mit dem Versuch des Aquarellieren eben jener oder der jene umgebenden Landschaft vertreiben. Die überdimensionale Zitrone finde ich am Besten, sie habe ich sofort erkannt. Ich beiße mir auf die Lippen und lasse meinen Blick über das Ende der Stadt durch die Landschaft schweifen, bis einer der vielen heute umhergeführten Schulklassen allzu präsent wird und ich den Rückweg antrete.
Auf dem Weg liegen noch zwei Palazzi, beide gratis dafür mit vermeintlichen Kunstwerken bestückt, die zum Verkauf stehen. Ich denke an die aquarellierenden Damen und bin begeistert von diesem Wirtschaftszyklus. Leider entbehren beide Häuser den zeitgenössischen Wohngegebenheiten, lediglich die Deckenfresken lassen die frühere Nutzung erahnen. Beeindruckend aber der Bezug in die Landschaft. Absicht oder notwendige Belichtung?
Nun liegen noch die schweißtreibenden Treppen nach Ragusa Superiore vor mir. Aber jede Stufe wird mit einem neuen Blick belohnt und die sich windenden Treppen erschweren wirklich jedes entkommen vor möglichen randalierenden Jugendgangs. Ich denke an die Besichtigung des Holywrood Palace in Edinburgh. Dort, vor einem Turmzimmer, dass ungefähr einen Durchmesser von zweieinhalb Metern hatte und in dessen Mitte ein massiver Holztisch stand, der mindestens einen Meter des spärlichen Platzes einnahm, stand ein Schild auf dem frei übersetzt Folgendes zu lesen stand: "Hier harrte Maria Stuart aus, als der wütende, katholische Mob das Turmzimmer stürmte." ... Ähnlich beengt ist meine Situation. Auch der mich erstürmende Mob könnte max. zwei Personen umfassen.
Auf dem Weg den Corso Italia hoch besorge ich noch im Antico Caffé Trieste zwei Ciabattini mit Salame und prosciutto gelegt. Zum guten Preis und hübsch verpackt wandern sie in meinen Rucksack. Die letzte Kirche für heute soll die Catedrale San Giovanni Battista sein (denke ich jetzt. Aber natürlich bin ich in Italien und Kirchen sind hier weiß Gott keine Mangelware). Ich glaube sie gefällt mir von allen bisher am besten. Das Farbspiel von Weiß und Grau-Brauntönen, durchzogen von dem allgegenwärtigen Gold ist gefällig, die Proportionen bestimmt, aber nicht erdrückend, die Ausstattung beeindruckend (und unaufdringlich).
Weiter durch die Gassen ziehen besorge ich un pane, il bagaglio, eine Wurst und einen Käse und un biletto per Catania. Es ist die gleiche Frau, die mir gestern den Weg erklärte. Sie guckt mich verdutzt an. Wahrscheinlich wundert sie sich, warum ich heute italienisch spreche. ;p
In Catania ausgestiegen (diesmal war es pures Glück, dass ich den dem Hostel am nähsten liegenden Busbahnhof erwischt habe) mache ich mich auf zum Ostello Degli Elefanti. Es liegt prominent im Herzen Catanias und ist in einem Teil der Räume eines Palazzos untergebracht. Die Beschreibung meiner Reisebegleitung trifft es zwar nicht ganz. Alles ist in die "Jahre gekommen" obwohl das Hostel erst 2014 geöffnet hat, die sanitären Anlagen grenzen je nach Tageszeit an "bestialisch", aber das Personal ist nett, die Deckenfresken in den Zimmern vorhanden und die Dachterrasse mit Bar ein absolutes ++.
Nach einem Erholungsschläfchen auf der oberen Ebene des Stockbettes entschließe ich mich die Vorräte aufstocken zu gehen und vielleicht doch noch einen Teil der Stadt anzuschauen. Im Supermarkt ergänze ich mein Abendessen um ein Paprikapesto, den ich als Butter missbrauchen werde, mariniertes Gartengemüse mit Oliven, keksigem allerlei und in Vorbereitung auf die Reise morgen verschwinden noch Wasser, Geburtstagsaccessoirs und Obst im Stauraumwunderrucksack.
So schwer es mir fällt, ich kann mich nicht verwehren mir die Stadt anzugucken. Auf dem Weg liegt wieder ein Loch mit römischem Allerlei. Ich verschaffe mir einen Überblick, aber die Fülle der bisher gewonnenen Eindrücke blockiert mich und ich wende mich zum gehen. Die Signora im Kassenhäuschen ruft mir zu, dass es umsonst wäre. Ich werfe ihr einen mitleidiegen Blick zurück und sage, dass es mich nicht interessiere. Ich hoffe das bremst nicht die Leidenschaft für ihre Arbeit, es war nämlich auch gar nicht ernstgemeint. Es war die falsche Zeit oder vielleicht waren die umher streuernden und dort beherbergten Katzen abschreckend; vielleicht kompensiert sie das mangelnde Interesse ihrer Umwelt an dem ihr anvertrauten Kulturschatz durch den zubau ulkiger Katzenbehausungen.
Im Giardino Bellini werde ich ebenfalls nicht meines Interesses fündig, bei Verlassen passiere ich an einer Stützmauer zwei Jugendliche mit einer auffälligen Körpersprache und beim Bemerken meiner eines ebenso auffällig ertappten Verhaltens. Mir liegt ein "Attenzione e prendete preservativo." auf den Lippen - aber ich weiß nicht, was "habt trotzdem Spaß" heißt und ich möchte nicht belehrend klingen.
Darüber nachdenkend, wie wenig Privatsphäre es bedeutet, keine eigene Wohnung zu haben und dass junge Erwachsene hier durchschnittlich bis zum 32.Lebensjahr bei ihren Eltern wohnen steure ich auf eine Kirche zu, die mehr als abgängig aussieht.
Daneben befindet sich ein niedrigerer Bau, durch dessen Portal junge Leute einen und ausgehen. Ich tue es ihnen gleich, lasse auch die sich hier im Hof befindlichen die Löcher mit römischen Resten links und rechts liegen und gehe zielstrebig zum Hauptportal des Baus empor. Dort mogel ich mich in das imposante Treppenhaus.
Es scheint sich um eine Universität zu handeln und wie öffentlich die hier zugänglich sind weiß ich nicht. Meine Blicke ziehen mich immer weiter ins Innere. Auf der ersten Etage fällt mein Blick in einen Innenhof in dessen Zentrum ein Pavillon steht, der Flur in dem ich stehe umrundet den Innenhof vollständig, von ihm gehen eine Vielzahl von Türen an. Es scheint ein ehemaliges Kloster zu sein. Noch immer meiner rechtmäßigen Anwesenheit nicht bewusst gehe ich weiter, nur noch eine Ecke, und noch eine und noch eine Treppe und noch eine Ecke... Es gibt einen weiteren Hof von gleicher Größe, aber ohne Pavillon. Das Kloster scheint eines Tages großmaßstäblich erweitert worden zu sein. Einen Zugang zu der abgedruckten Kirche suche ich leider vergebens. Schade.
Anschließend ziehe ich weiter, passiere das Teatro Greco und stolpere anschließend förmlich in die Basilica Cattedrale di Sant'Agata. Nüchterne Klarheit mit dem im Eingangsportal hängenden Baldachin, der mit seinem Sonnengelb, die Kirche in ein mollig warmes Licht taucht und mediterranes Flair versprüht umgeben mich.
Dann treibt mich der Hunger und und die notwendige Planung der nächsten Tage auf die Dachterrasse des Hostels. Mein Mahl aus Brot, Käse und Wurst, Pesto, Aperol Spitz mundet.
Anschließend gesellt sich der Hostel-Rezeptionist zu mir und bittet um einen freien Platz. Alle anderen Tische wären von nicht Hostelbewohnern belegt und seine Chefin erlaube ihm nur hier zu sitzen. Ich muss lachen, nehme es als Kompliment, kein Gast zu sein, sondern dazu "zugehören". Wir trinken zwei Bier und er gibt mir Tipps für die Äolischen Inseln auf denen er zwei Jahre gearbeitet hat. Dann verabschiede ich mich in mein Stockbett und freue mich auf den nächsten Tag, an dem ich endlich Besuch bekomme und die kommenden Tage auf den Inseln und zu zweit.



















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