2016-05-05

Siracusa, Siedlung der Sehnsucht

Heute ist es endlich soweit, ein großer  und zugegebener Maßen  schwerer Schritt,  aber ich musste mich von meiner geliebten Papiertüte trennen. Material und Handhabung waren letztendlich doch nicht ideal. Auch wenn immer alles griffbereit war, war der Lastabtrag durch die gewöhnungsbedürftigen Griffe letztendlich einer der Hauptgründe. Da konnte auch die bemerkenswerte Stabilität und Verarbeitung nichts mehr retten. Dass die Tüte leuchtend orange war, störte mich nicht sehr, auch wenn ich nicht wissen möchte, für wie viele ich „Der mit der Tüte“ war. Genauso wenig stört es mich,  dieses Alleinstellungsmerkmal aufgegeben zu haben.

Naiv, wie auch anders erwartet, zog ich heute morgen zunächst Richtung Castello Maniace- mit meiner Papiertüte. Auf dem Weg dorthin passierte ich in der Via Roma (146) den kleinen Laden arricreati von Mariaconcetta  Confalone. Schon der Name verspricht, was der Laden hält. Eine Vielzahl von schönen handwerklich kreativ neu interpretierten Alltagsgegenständen. Stapelbare Trinkgläser mit Reliefs der Baukultur lassen kleine Türmchen entstehen. Keksdosen in Form und Anmut italienischer Palazzi, chopstick-Ablagen, die neben einander gelegt ein Mandala ergeben oder das in Silikon gegossene 3D-Modell einer Schachbrett-Großstadt , auf dem- zwischen die Hochhäuser gestellte Teller- trocknen können, sind nur einige der vielen Beispiele.
Und dann konnte ich das Meer sehen. Sehnsucht durchströmt mich. Die Aussicht in die Ferne, die endlose Weite bis zum Horizont,  das Gefühl des „Mehrs“. Und dieses Gefühl  durchströmt einen immer wieder. Siracusa biete viele Gassen und Plätze, an deren Ende sie aufblitzt- die Endlosigkeit, als kleiner Ausschnitt, aber immer da und immer unerwartet. *


Mitten am Anfang dieser Endlosigkeit am Ende der Insel liegt das Castello. Als Tempel-und Opferstätte der Griechen begonnen, mausert sich dieses Fleckchen Erde  zu einer Festung  aus Sandstein.


Im Kontrast zum türkis-blauen Wasser,  umstürmt von Böen der Sommerfrische, konzentriert die Festung mit all ihren Schießscharten das Motiv der vorgelagerten Stadt in militärischer Akkuranz.

Von soviel militärischer Ordnung und Klarheit geht es die Passeggio Adorno entlang.  Hier säumen neben einer breiten Promenade an der Waterkant große Bäume einen Boulevard und spenden Schatten. Immer wieder gibt es entlang der Stützmauer zum oberen Teil der Stadt kleine Verkaufsstelle und Attraktionen. Über einen Treppenaufgang durchschreite ich die Baumkronen und blicke über diesen Teppich aus auf gleiche Höhe gestutzten Baumkronen hinweg das türkisblaue Wasser.


Zurück in der Stadt beginnt die Suche nach einem Rucksack - un dsaino picollo e economico. Die großen Ketten haben keine passende Lösung, zu groß,  zu klein, zu schwer, zu teuer. Andere Geschäfte haben geschlossen, diverse Straßenhändler und China markets sind alle nicht schön. Das Problem wird vertagt und der nördliche Teil Ortigias bestaunt. Ein Riesen Loch mit Geröll und vereinzelten Säulen stellt sich als der Tempel des Apollo heraus. Spannender ist dagegen der Markt in der Via de Benedicts. Mit seinen Ständen und dahinter angegliederten Ladenlokalen hält er alles was man von einem typischen Markt erwarten kann. Üppig gefüllte Auslagen mit allerlei Köstlichkeiten,  dem Geruch von Käse, Blumen und Fisch in der Luft, läuft das Wasser im Mund zusammen und man kann sich ganz dem Rausch der Sinne und der Fantasie hingeben, wie es wäre, hier zu leben, auf dem Markt seine Einkäufe zu erledigen und abends leckere Gerichte aus den frischen Zutaten des Fleckchen Erde, der uns hier geschenkt wurde, zu zaubern. So habe ich auch keinen Blick für Caseificio Borderi Elefteria, ein Straßenstand wo üppigst belegte Panini vom Chef persönlich mit ricotta, salame, pecorino, Auberginen, Paprika, Tomaten, prosciutto, Oliven, Zucchini und vielem mehr handbelegt und Scharen von Wartenden und Neugierigen bestaunt werden. Völlig gefangen im Tagtraum biegt man ab in eine der vielen kleinen Gassen und findet sich wieder in einem unüberschaubaren Gewirr aus Häusern, Gassen, Rollen,  Katzen,  Wäschereien,  Balkonen, Pflanzkübeln und Baumaterialien. Menschenleer.


Und doch hat man einen sehr guten bisweilen intimen Einblick in das Leben und seine Qualität hier- pittoreske Idylle morbider Strukturen zwischen gestern und heute. Die einzige Menschenseele ist eine orientierungslos  wirkende Frau mittleren Alters, die eine Kiste  Wein auf einem Handkarren hinter sich herzieht. Sie kommt aus einer Gasse rechts von mir, überholt mich und biegt wieder rechts ab in die Richtung  aus der sie kam. Dann ist es wieder menschenleer.
Mittagspause bei VIolA, lecker Blätterteigtasche mit Ham‘n‘Cheese,  Cappuccino  und ein Nutellatarte – trocken aber gut. Gestärkt geht es in den Osten der Insel ins jüdische Viertel. Hier findet sich neben allerlei Lokalen und Geschäften des guten Geschmacks auch die Giudecca Trentasette (Via della Giudecca 37/39). Hier gibt es allerlei aus Sizilien. Hauptsächlich schöne und leckere Dinge. Von dort geht es zum Hotel alla  Giudecca in der via Alagona. Dort wurde bei den Renovierungsarbeiten in den 1980er Jahren ein altes, unterirdisches, in den Stein geschlagenen Jüdisches Bad gefunden, das für rituelle Waschungen diente. Bei der Vertreibung der Juden von der Insel durch die Inquisition wurde der Zugang zum Schutz zugemauert und das Bad geriet in Vergessenheit. Die Kargheit des Raumes mit den drei, mit Stufen in den Fels eingelassen Becken im zentralen Raum und die beiden für höhere gestellte Mitglieder der Gemeinschaft in Seitenkammern vorgesehen Becken, lässt nur erahnen, wie heilig dieser Ort einst war.
Von soviel Gerede über Baden und waschen zieht es mich zum Solarium Forte Vigliena. Dort lässt sich herrlich auf den Felsen liegend aufs Meer schauen und die Seele baumeln lassen. Und genau das tue ich dann. Mutige gehen hier auch baden, aber ich begnüge mich mit den Füßen. Man muss sich ja noch etwas zu tun für den richtigen  Strand aufheben.

Nachdem die Sonne längere Schatten wirft zieht es mich zurück in die Stadt. Der Duomo di  Siracusa steht noch auf dem Programm,  aber wegen einer laufenden Messe nicht zur Verfügung.

Bluttriefender Hände wegen wendete ich mich wieder meinem weltlichen Problem zu und entschied ich mich schließlich für den größten Rucksack. Meine Papiertüte habe ich natürlich aufgehoben. Wer weiß…

*Zeitsprung_Anfang: In unmittelbarer Nähe  findet sich die Facolta di Architettura mit dem co.Cafe. Der erste Espresso wir fällig. 80cent für einen Traum aus gerösteten Bohnen und heißem  Wasser, stilecht an der Bar genossen. Durch einen Seitenausgang gelangt man auf den Platz vor dem castello-ein Tickethäuschen war nicht auszumachen. Zeitsprung_Ende*

Stilmittel Zeitsprung : Dieses Mittel richtet sich an all die Leser,  die nicht nur -vollkommen berauscht- an meinen Zeilen kleben, sondern auch versuchen, alles minutiös mitzuerleben,  nachzufühlen und in sich aufsaugen.

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